Arbeitsschutz

Neugier hat noch niemandem geschadet

Stellen Sie Fragen, die wirklich zählen.

6 Minuten17.02.2023

Prof. Dr. Andrew Sharman

Die meisten Führungskräfte geben ihren Mitarbeitenden schlicht und ergreifend vor, was sie tun sollen. Einige sagen ihnen vielleicht sogar, wie es zu tun ist. Die wenigsten Führungskräfte aber nehmen sich die Zeit, um zu erklären, warum etwas wichtig ist.

In den 25 Jahren, die ich im Arbeits- und Gesundheitsschutz tätig bin, habe ich mich oft gefragt, wie viele Führungskräfte wirklich verstehen, warum Sicherheit wichtig ist – für ihre Organisationen, ihre Mitarbeitenden, für sie selbst. Natürlich höre ich oft „Safety First“ oder „Sicherheit ist unsere oberste Priorität“, aber ich sehe selten, dass dies in der Praxis wirklich gelebt wird.

Liegt das Problem vielleicht in der Kommunikation der Führungskräfte? Management-Guru Stephen Covey empfiehlt: „Erst verstehen, dann verstanden werden.“

Wenn es darum geht, Arbeitssicherheit zu verstehen, stellen viele Führungskräfte Fragen, die sie sich genauso gut sparen könnten. Unzählige Male habe ich es zu Beginn eines Meetings oder bei Sicherheitsrundgängen gehört, wenn die Führungskraft einmal pro Woche, einmal pro Monat oder einmal alle Jubeljahre zu ihrer Tour durch die Fabrikhalle aufbricht:

„Ist alles sicher?“

„Gibt es hier Sicherheitsprobleme?“

„Gibt es Verbesserungsvorschläge zum Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz?“

Selten führen diese Fragen zu einem echten Dialog. In der Regel antworten die Arbeitnehmenden mit einem leisen „Nein“ oder einem Schulterzucken und die Führungskraft geht weiter.

Stellen Verantwortliche im Arbeitsschutz diese nutzlosen Fragen, weil sie Neugierde selbst für ein Sicherheitsrisiko halten? Vermutlich steckt mehr dahinter ...

In ihren Studien über Führung schreibt die amerikanische Autorin Brené Brown: „Neugierde schafft Verbindung ... Verbindung gibt unserem Leben Bedeutung ... [und] um eben dieser Verbindung sind wir hier.“ Brown argumentiert, dass vielen Führungskräften der Mut fehle, wirklich neugierig zu sein.

Psychologen definieren Neugier als „wissen wollen“. Eine recht simple Erklärung, oder? Genau genommen impliziert „wissen wollen“ eine Suche nach Informationen. Neugier ist also kein Sicherheitsrisiko. Sie hat noch niemandem geschadet. Und sie mag weder Regeln noch Vorschriften. Sie lehnt Abläufe und Prozesse ab. Neugier liebt das Umherschweifen, die Abweichung und den abrupten Richtungswechsel. Neugier ist nimmersatt, je mehr sie bekommt, desto mehr will sie.

Wissenschaft beginnt mit Neugier. Das gilt auch für Liebe, Freundschaft, Spaß, Konversationen ... und ich würde sagen, auch für Arbeitsschutz. Wie wäre es, wenn Sicherheitsbegehungen eine „Suche nach Informationen“ werden würden. Wie wäre es, wenn Sie Kontroll- und Rundgänge durch „Wissbegierige-Wortwechsel“ mit Ihren Mitarbeitenden ersetzen würden?

Mit Neugier kann man die Welt nicht nur verstehen, sondern auch verändern. Betreten Sie also diese schöne neue Welt und fragen Sie sich: Warum ist Ihnen Sicherheit wichtig? Was wollen Sie über den Arbeitsschutz in Ihrer Organisation wissen? Und auf welche Fragen müssen Sie unbedingt Antworten finden?

Das Problem

„Gibt es hier Sicherheitsprobleme?“

Wie oft haben wir es schon gehört. Am Ende von Team-
Meetings, zu Beginn von Konferenzen
für Führungskräfte, auf dem Sicherheitsrundgang
durch die Fabrikhalle ...
manchmal meinen sie, was sie sagen, manchmal
wollen sie es tatsächlich wissen.

Aber die Antwort ist immer die gleiche:

NICHTS
Null, Nada, Nix, Schweigen,
ein Schulterzucken, ein Seitenblick,
ein kaum bemerkbares Kopfschütteln.

Ernsthaft???

All diese sturmerprobten Helden, Top-Manager, Vorzeige-
Führungskräfte – und sie haben nichts ...?

Und während das Schweigen verklingt,
Und die Uhren weiter ticken, und der
Manager sich vergewissert, dass die Kennzahlen sagen
„Alles sicher“;
stirbt irgendwo ein Arbeiter. Und dann
ein weiterer. Alle zehn Sekunden.

Und schließlich bist du an der Reihe: Das Telefon klingelt
mitten in der Nacht. Die Polizei trifft ein.
Die Sanitäter sind bereits im Einsatz. Die Maschinen
werden abgestellt. Menschen weinen ...
Die Tage ziehen sich. Ermittler schreiben
akribisch ihre Notizen. Anwälte streiten.
Du schläfst nicht ...

„Warum hat niemand etwas gesagt?
Warum hat niemand das Wort ergriffen? Warum blieben
sie alle still? Warum haben wir gewartet, bis
jemand verletzt wurde?“

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