Arbeitsschutz

Ein positiver Ansatz in puncto Arbeitssicherheit

Interview mit Gerd-Jan Frijters für den Safety Management Trend Report 2021

8 Minuten28.04.2021

Veränderte Arbeitsmuster und eine neue Sensibilität für mentale Gesundheit haben die Diskussion um bisherige Methoden und Maßstäbe im betrieblichen Arbeitsschutz in Frage gestellt. Traditionell wurde Arbeitssicherheit vor allem als die Abwesenheit von Gefahr verstanden. Sicherheitsstrategien konzentrierten sich folglich darauf, negative Ereignisse zu vermeiden. Damit einher geht auch die in vielen Organisationen verbreitete „Null-Unfälle-Strategie“, oder „Vision Zero“. Dieser Ansatz als alleinige Perspektive wird jedoch aus unterschiedlichen Richtungen kritisiert. Für den Safety Management Trend Report befragte Quentic Gerd-Jan Frijters, einen renommierten Berater für Sicherheitskultur. Er ist Gründer von D&F Consulting und starker Verfechter eines modernen Ansatzes.

Die Kraft positiver Psychologie: Safety II

Herr Frijters, Sie sind Gründer von D&F, einem Beratungsunternehmen für Prozesse rund um die Themen Sicherheitskultur, sichere Verhaltensweise und integriertes Arbeitsschutzmanagement. Welchen Ansatz für den Arbeitsschutz vertreten Sie persönlich? 

Auf jeden Fall Safety II! Denn dabei handelt es sich um einen positiven Ansatz, der den Schwerpunkt darauf legt, aus Erfolgen zu lernen – nicht aus Fehlern. Selbstverständlich kommen wir nicht umhin, auch aus Vor- und Unfällen unsere Schlüsse zu ziehen. Als Psychologe sehe ich persönlich jedoch deutlich mehr Potenzial in Programmen, die sich auf eine positive Psychologie stützen. Ich bin fest davon überzeugt, dass sicheres Verhalten am Arbeitsplatz und positive Psychologie Hand in Hand gehen.

Sie besuchen jedes Jahr hunderte Unternehmen. Würden Sie sagen, dass Ihr Ansatz überall befolgt wird? 

Die meisten Programme basieren sicherlich noch auf Safety I. Dabei werden sicherheitsrelevante Vorfälle und Unfälle protokolliert und ausgewertet. Dieser Ansatz beruht auf der Annahme, dass schwere Arbeitsunfälle Angst verbreiten und deshalb in der Belegschaft zu sicheren Verhaltensweisen führen. Ich halte das jedoch für einen Irrglauben. Viel effizienter wäre es aus meiner Sicht, eine sichere Verhaltensweise auf positive Weise zu fördern und somit zu verstärken. 

Das ABC-Modell der Verhaltenstherapie

Glauben Sie, dass die Unternehmen über die nötigen Tools verfügen, um schwerpunktmäßig positive Verhaltensweisen zu fördern?  

Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von nützlichen Werkzeugen dafür – nicht nur digitale, sondern auch analoge. Nehmen wir als Beispiel das ABC-Modell aus der Verhaltenstherapie. Das A steht für den aktivierenden Reiz, B ist die Bewertung dieses Reizes und C die Verhaltenskonsequenz. Den größten Effekt auf das Verhalten haben positive Konsequenzen auf der C-Ebene. Tools gibt es also genug, nur finden sie heutzutage in den Unternehmen leider nur selten praktische Anwendung. Und das hat mit der Sicherheitskultur zu tun. Aus persönlichen Gesprächen mit Managern weiß ich, dass viele noch immer der Ansicht sind, Mitarbeitende müssten sich sicher verhalten, weil sie schließlich dafür bezahlt würden. Zuwiderhandlungen werden dementsprechend bestraft. Doch wenn ich sie frage, ob sie so auch ihre Kinder erziehen würden, schweigen die meisten. In diesem Moment erkennen sie, dass immer auch positive Anreize dazugehören. Viele Führungskräfte tun sich mit dieser Denkweise aber noch immer schwer.  

Bessere Leistungsindikatoren für den Arbeitsschutz

Wenn Sie den HSE-Experten vor Ort in den Unternehmen einen Rat geben sollten oder im Laufe des Jahres eine Sache ändern könnten, was wäre das?  

Ich empfehle jedem, der Leistungskennzahlen verwendet, um den Erfolg seiner Sicherheitsmaßnahmen zu bewerten, diese positiv zu formulieren. Anstatt zu sagen „Wir hatten heute zwölf unsichere Situationen“, ist es besser, zu formulieren: „Von 100 beobachteten Situationen waren 88 Prozent sicher“. Mit anderen Worten: Man sollte die Dinge positiv sehen. Sicherlich gibt es immer Potenzial für Verbesserungen. Doch ein positiver Ansatz belohnt die Mitarbeitenden, die sich eh schon sicher verhalten – und das ist in der Regel die Mehrzahl. Auch wenn dieser Gedanke nicht neu ist, beobachte ich das in Unternehmen nur selten.  

Safety Management Trend Report 2021

Safety Management Trend Report 2021

Gerd-Jan Frijters ist einer von elf internationalen Experten, die zum Safety Management Trend Report 2021 beigetragen haben. Laden Sie hier den kostenlosen Report herunter und erhalten:

  • Perspektiven: Einschätzungen von führenden Expertinnen und Experten aus acht Ländern zu den wichtigsten Trends und Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Arbeitsschutz.

  • Praxis: Erstmals wird der Safety Management Trend Report durch eine große Umfrage unter Fachkräften aus ganz Europa ergänzt

  • Ausblicke: Welche Prioritäten setzt zukunftssicherer Arbeitsschutz? Worauf sollten Fachkräfte sich jetzt konzentrieren? 


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Mit digitalen Tools zu mehr Sicherheitskultur

Viele Organisationen haben damit begonnen, ihre Arbeitsschutzprozesse zu digitalisieren und die meisten Software-Anwendungen können solch positive Herangehensweisen auch abbilden. Gleichzeitig stellen wir fest, dass sich die Digitalisierung in vielen Unternehmen auf die alten analogen Abläufe beschränkt. Würden Sie sagen, dass Firmen bei der Einführung eines neuen Tools diesen positiven Ansatz direkt mit einführen sollten? 

Ja, weil sich dadurch sofort eine Veränderung ergibt. Außerdem birgt digitale Technologie ein enormes Potenzial für die Verbesserung der Sicherheitskultur am Arbeitsplatz. Mit Umfragen und Interviews etwa lässt sich nur herausfinden, wie die eigene Sicherheitskultur vor ein paar Wochen ausgesehen hat. Durch Live-Feedback und Messungen in Echtzeit über Apps und Software bekommt man viel mehr Daten und behält stets den Überblick über die aktuelle Lage. 

Digitale Tools bieten zudem noch viele weitere Möglichkeiten, um die Sicherheitskultur am Arbeitsplatz positiv zu beeinflussen. Ein gutes Beispiel ist die Arbeit meiner Kollegin Kelly van Krieken bei D&F. Kelly ist Expertin für Gamification im Bereich Arbeitssicherheit und beschäftigt sich damit, wie Gaming-Elemente in Apps und Software für das Arbeitsschutzmanagement integriert werden können. Computerspiele sind deshalb so beliebt, weil man direkt Feedback bekommt. Man hat sofort ein Ergebnis und kann sich so mit Freunden und Verwandten messen. Wenn es uns gelingt, die Grundsätze der Gamifizierung in Software oder Apps für den Arbeitsschutz zu integrieren, haben Mitarbeitende mehr Spaß daran, diese Anwendungen zu nutzen. 

Gerd-Jan Frijters verfügt über 27 Jahre Berufserfahrung im Arbeitsschutz. Er hat sein Studium in den Fächern Maschinenbau, Management und Psychologie absolviert und ist Autor mehrerer Bücher zu diesen Themen. Darüber hinaus ist er Gründer von D&F Consulting, einem Unternehmen, das sich mit 45 Mitarbeitern auf Beratung und Training in den Bereichen Maschinen-, Prozess- und verhaltensbasierte Sicherheit spezialisiert.

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